Heldin des Alltags: Rosmarie Brunner
[ Heldinnen-Porträt März 2022 ]

[ GrossmütterRevolution I Interview am 14.12.2021 ]
Heldinnen-Affirmation:
Sei Freund(-lich) zu dir und anderen. Nimm’s mit Humor.
Frag dich, wie du dir und anderen Freundin sein kannst und lebe danach. Tritt einen Schritt zurück und schau dir die Gesamt-Szenerie an. Nimm wahr, was wesentlich ist – und den Rest mit Humor.
Alter(n) ist in unserer Gesellschaft oft negativ konnotiert, obwohl es so viel an Lebenserfahrung und Weisheit in sich tragen würde. In anderen Kulturkreisen werden die so genannten (wise) «Elders» geschätzt und um Rat gebeten. In unseren Breitengraden hingegen gilt Altern als mühsam und ungewünscht. Ältere Menschen werden eher als Altlast, denn als Goldesel:innen gesehen. Die GrossmütterRevolution möchte genau dieses Altersbild ändern. Als Think Thank, Plattform und soziale Bewegung beschäftigt sie sich mit den Themen Frausein, Alter und Generationen. Genau deshalb wollte ich die Perspektive auf’s Leben einer dieser Grossmütter erfahren. Ganze vier Anläufe hat es dann jedoch gebraucht, bis sich eine Grossmutter der GrossmütterRevolution für ein Heldinnen-Porträt zur Verfügung stellte. Das hat mir gezeigt: Grossmütter setzen andere Prioritäten als sich in Szene zu setzen! Daher bin ich um so dankbarer, dass Rosmarie Brunner sich bereit erklärt hat die Heldinnen-Bühne zu betreten.
Rosmarie lenkt den Blick auf das Wesen(tliche), das sich hinter der Schminke verbirgt. Sie versteht sich und andere als Teil eines Szenenbilds. Dabei besitzt sie die Fähigkeit, aus der Szenerie herauszutreten und sich selbst und das Bild von aussen zu betrachten. Was sie sieht, nimmt sie wahr, wie es ist ... gerne auch mit Humor und Lachen. Das macht ihre Heldinnenkraft für mich aus.
Liebe Rosmarie, du befindest dich mit 63 Jahren mitten im «Grosi-Alter», sagst von dir selbst, dass du «angeschmuste» Grossmutter bist und engagierst dich bei der GrossmütterRevolution. Was verbindest du mit einem «Grosi»?
Meine Grossmutter war eine Person, die sehr wichtig für mich in meinem Leben war. Bei ihr habe ich mich geborgen gefühlt. Der Begriff an sich – «Grosse Mutter» – macht für mich deutlich, wofür Grossmütter stehen; nämlich für die (gross-)mütterliche Qualität im Sinne von anderen zugewandt sein. Diese Qualität ist meiner Wahrnehmung nach nicht zwangsläufig mit biologischer Mutterschaft verbunden. Ich selbst beispielsweise habe keine eigenen Kinder oder biologischen Enkelkinder. Dafür aber «angeschmuste» Kinder und Enkelkinder aus den vorherigen Partnerschaften meines Mannes. Gerade gestern durften wir das sechste Grosskind in unserem Familienkreis willkommen heissen.
[ Mein Kind. Dein Kind. ... Letztlich zählt doch, dass wir alle fürsorglich mit allen Kindern umgehen. ]
Gleichzeitig hatte ich in meinem Beruf als Pfarrerin ständig mit Menschen zu tun: ich war ihnen zugewandt und habe sie begleitet. Dort habe ich mich verantwortlich gefühlt für die Menschen, die sich an mich gewandt haben, grosse wie kleine, ob das nun meine eigenen Kinder sind oder nicht. Auch Frauen, die keine eigenen Kinder haben, können daher für mich mütterlich bzw. grossmütterlich sein. Ich beispielsweise wollte schon als kleines Kind «Grossmutter» werden, Enkelkinder hin oder her. Ich habe damit verbunden: eine weise, alte Frau sein.
Da hattest du also schon früh ein anderes Altersbild im Kopf, als das, welches aktuell in der Gesellschaft gang und gäbe ist. Bei der GrossmütterRevolution habt ihr im November letzten Jahres den Kalender «Nackte Tatsachen» lanciert. Mit dem Kalender wollt ihr sichtbar werden und das aktuelle gesellschaftliche Altersbild hinterfragen.
Ja – mit dem Kalender möchten wir darauf aufmerksam machen, dass es uns alte Frauen gibt. Die vorherrschende Kultur macht sie nämlich gerne unsichtbar. Wie im Kalender zu lesen, stagnierte zum Beispiel die Anzahl der Beiträge, in denen Frauen erwähnt wurden, zwischen 2015 und 2020 auf einem tiefen Niveau von durchschnittlich 23 Prozent. Bei älteren Frauen zeigt diese Tendenz noch weiter nach unten. Mit dem Kalender wollen wir gleichzeitig zeigen, wie vielseitig und verschieden alte Frauen sein können und welch vielfältige Formen auch unsere Körper annehmen. Wir wollen zeigen, was ist. Das Normale sichtbar machen.
Alter als Normalität. Schon paradox, dass das überhaupt betont werden muss.
Welche Qualität zeichnet deiner Meinung nach das Alter besonders aus?
Ein grosser Vorteil im Alter ist es, freier agieren zu können. Ich stelle mir weniger die Frage, was andere denken könnten und bin in kein Verhältnis zu einem:r Arbeitgeber:in mehr eingebunden. Natürlich war es erst einmal eine Überwindung, sich nackt fotografieren zu lassen. Doch letzten Endes haben wir uns gefragt, was wir zu verlieren haben. Das ist das Schöne am Alter: Das Alter bringt innere Freiheit und hilft, sich selbst annehmen zu können mit dem, was ist. Und ausserdem die Freiheit, Klartext zu reden.
Du bist bei der GrossmütterRevolution in der Regiogruppe Basel, dem Matronat (Beirat) und der Arbeitsgruppe Endlichkeit engagiert. Warum beschäftigst du dich mit dem Thema Endlichkeit?
Dieses Thema begleitet mich schon mein Leben lang. Während meiner beruflichen Zeit als Pfarrerin und jetzt als freischaffende Theologin konnte ich mich damit auf unterschiedliche Arten und mit verschiedenen Altersgruppen auseinandersetzen. Und jedes Mal war dies auch ein Stück Auseinandersetzung mit mir selbst. Wir Menschen existieren nicht losgelöst voneinander, sondern sind miteinander verknüpft. Daher klingt etwas von der Lebensgeschichte des anderen auch an bei mir selbst, berührt mich und löst etwas in mir aus. Ich habe es immer als Geschenk meines Berufs wahrgenommen, dass ich die Chance hatte, mich mit diesen Themen – auch für mich selbst – beschäftigen zu können.
Sich mit dem Thema Endlichkeit auseinanderzusetzen siehst du als Chance. Bei der GrossmütterRevolution heisst es: Endlichkeit als Chance für ein gutes Leben. Was verstehst du unter einem guten Leben?
Das ist eine Frage, die gar nicht so einfach zu beantworten ist. Für mich ist zentral, wie ich im Leben stehe. Ich erinnere mich an eine Erfahrung in jungen Studienjahren, als ich in den Semesterferien in einem Altersheim gearbeitet habe. In meiner Erinnerung gab es in diesem Altersheim einen Haufen nörgelnder, meckernder alter Menschen, die unzufrieden mit sich selbst und dem Leben waren. Da habe ich mir geschworen, dass ich so nicht werden möchte.
[ Ich möchte zu mir und anderen freundlich sein. ]
Daher ist es mir wichtig, immer wieder zu hinterfragen, wie ich im Leben stehe und welche Beziehungen ich habe. Ob mir diese helfen zu wachsen und zufrieden zu sein – oder nicht. Ob das, was ich tue, mich dabei unterstützt, gut und freundlich in der Welt zu stehen – oder nicht. Und wenn nicht, was ich daran ändern könnte.
Als Leitlinie in meinem Leben steht im Zentrum: «Wie kann ich zu mir und anderen freundlich sein». Im Wort «freundlich» steckt der Begriff Freund(in). Sich selbst und anderen ein:e Freund:in sein; das verstehe ich unter gutem Leben. Im Alter nicht zu versauern und sich damit selbst Säure ins Leben zu giessen, das ist mein Ziel.
Dann bist du bei der GrossmütterRevolution ja gerade richtig, versteht ihr euch doch als lebensfreudiger Verein mit dem Motto «Lebenslust statt Altersfrust». Jetzt hat aber auch die GrossmütterRevolution gerade mit Endlichkeit zu kämpfen – nämlich der Endlichkeit der Fördergelder des Migros Kulturfonds? Wie geht es jetzt weiter?
Einerseits werden wir die Inhalte, die seit den 11 Jahren des Bestehens der GrossmütterRevolution entstanden sind, in eine bleibende Form giessen, damit nichts davon verloren geht. Andererseits beschäftigen wir uns im Rahmen eines Organisationsentwicklungs-Prozesses damit, wie es auf neue Art weitergehen kann.
Bisher hatten wir eine Art Geschäftsstelle, die uns mit all der Hintergrundarbeit, die auch getan werden muss, entlastet hat. Das fällt dann weg. Gerade im Alter ist es aber wichtig, die eigenen Kräfte einzuteilen – und bestimmte Dinge interessieren einen nicht (mehr). Das ist auch eine Seite des Alters, die nicht wegzureden ist. Dafür müssen wir jetzt bei der GrossmütterRevolution Lösungen finden.
Dinge entstehen, Dinge ändern sich, Dinge vergehen ... das ist das Grundlegende des Lebens. Das begegnet dir sicher auch in deiner Arbeit als freie, selbstständige Theologin beim Gestalten von Zeremonien. Du begleitest Menschen bei Übergängen jeglicher Art – Hochzeiten ebenso wie Taufen & Willkommensfeiern und Trauer- & Abschiedsfeiern. Gibt es etwas, das sowohl das eine wie das andere miteinander verbindet?
Im Grunde genommen liegen sowohl Ankommen wie auch Abschied nehmen sehr nahe beieinander. Wenn ein neuer Mensch auf Erden willkommen geheissen wird, so bedeutet dies gleichzeitig für die Eltern Abschied nehmen von der Zweisamkeit, die bisher ihr Leben geprägt hat.
Auch beim Tod wird Abschied genommen – von einem Menschen, der einem nahestand. Zugleich löst das bei einem selbst einen Prozess der Neu-Erfindung des eigenen Lebens aus. Das eine bedingt das andere, wie die beiden Seiten einer Medaille, die zusammen gehören.
[ Im Abschiednehmen liegt ein Zauber. ]
Auch wenn es nicht immer einfach ist, Trauerprozesse zu begleiten; so habe ich diese Tätigkeit doch immer als Geschenk empfunden. Denn in genau diesen Momenten kommst du mit dem Wesen der Menschen in Berührung. Wenn der Tod über einen hereinbricht, reichen die Kräfte oft nicht mehr, um die Fassade aufrechtzuerhalten. Dann zeigen sich Menschen ungeschminkt, echt und ehrlich. Dann kommt bei Menschen Wesentliches zum Vorschein. Das hat mich schon immer fasziniert.
Ungeschminkt die nackten Tatsachen präsentieren und kein Blatt vor den Mund nehmen, das ist bei der GrossmütterRevolution das Gebot der Stunde.
Bei deinem Engagement im Clowntheater «sensibellas» als Clownin Rosetta LaMetta sieht das vermutlich etwas anders aus: Dort trägst du Schminke auf.
Im Aussen vielleicht; und auch da nur wenig. Im tiefsten Innern zeige ich mich als Clownin aber völlig ungeschminkt wie ich bin. Als Rosetta LaMetta erlebe ich mich sehr authentisch als Ich selbst. Ich bringe mit meinem Schauspiel einfach mein Wesen und das Wesen von uns Menschen in übertriebener Form zum Ausdruck. Ein bisschen so wie durch ein Vergrösserungsglas betrachtet. Der Blick richtet sich auf das, was im Grunde genommen da ist, macht es nur ein wenig grösser. Diese Perspektive hilft den Zuschauenden, sich selbst darin erkennen und spiegeln zu können, ohne es als Angriff auf ihre Persönlichkeit zu erleben. Ja sogar darüber lachen zu können. Letztlich zeige ich, was menschlich ist und jede:r in sich trägt. Insofern wasche ich sogar ein Stückweit die Schminke ab, die sich Menschen als Fassade auftragen und mache deutlich, dass uns eigentlich als Menschen ähnliches bewegt.
Dem Wesentlichen gehst du damit also auch bei deinen Clownereien auf den Grund.
Dem Le